Europa erkundet den Nachbarplaneten der Erde

Venus Express nach Bilderbuchstart auf der Reise

Mit dem erfolgreichen Start der Sojus-Trägerrakete vom russischen Weltraumbahnhof Bajkonur in Kasachstan am 9. November 2005 nahm der Venus Express der Europäischen Weltraumagentur ESA ihre fünfmonatige Reise zum Schwesterplaneten Venus auf.

Nach Abtrennung der Sonde von der Fregat-Oberstufe ĂĽbernahm das Europäische Raumflugkontrollzentrum (ESOC) der ESA in Darmstadt die Kontrolle ĂĽber die Raumsonde. Die 1’240 kg schwere Sonde wurde fĂĽr die ESA von einem europäischen Konsortium unter der Leitung von EADS Astrium mit 25 Hauptvertragspartnern aus 14 Ländern gebaut. Neben wissenschaftlichen Einrichtungen sind Forscher, Techniker und Ingenieure des Deutschen Zentrums fĂĽr Luft- und Raumfahrt (DLR) aus den Standorten Berlin und Lampoldshausen an der Mission beteiligt. Damit begann nun eine weitere grosse wissenschaftliche Mission der europäischen Raumfahrt zur Erkundung der Planeten in unserem Sonnensystem, mehr noch: das Projekt der Erforschung der Venus ist nicht nur eine grosse technische Herausforderung sondern auch eine bedeutende kulturelle Leistung. Die ESA, die im Jahre 2005 ihren 30. Geburtstag feiert, hat sich trotz permanent geringer Budgets, vom Juniorpartner der Supermächte zur anerkannt dritten Raumfahrtmacht entwickelt. Bei Satelliten- und Raumsonden-Programmen arbeiten die Europäer mit den Russen und Amerikanern bereits auf gleichem Niveau. Mit einer gewĂĽnschten Partnerschaft von Europa und Russland zeichnen sich bereits ungeahnte Möglichkeiten der Zusammenarbeit ab.

Deutsche Kompetenz an der Planetenforschung

Die Erkundung der Venusatmosphäre, ihrer Struktur, Dynamik und Zusammensetzung ist das Ziel der zunächst auf zwei Venusjahre (500 Tage) angesetzten Mission. Die Venus Monitoring Camera (VMC) vom Max Planck-Institut für Sonnensystemforschung in Katlenburg-Indiana — deren Sensor für das sichtbare Licht und das nahe Infrarot vom DLR-Institut für Planetenforschung stammt — soll die Dynamik der Venusatmosphäre in Bildern festhalten. Dabei verwendet das Kamerasystem mehrere Farbfilter in genau definierten Wellenlängen, um so das Wettergeschehen in globalem Massstab räumlich und zeitlich darzustellen. Das DLR ist an der wissenschaftlichen Auswertung der Bilddaten beteiligt. Möglicherweise werden der Kamera in den Wellen des Infrarots auch Aufnahmen der Venusoberfläche gelingen.

explo-hiresFür Untersuchungen von chemischer Zusammensetzung, Temperaturen, physikalischen Eigenschaften und der Dynamik der Atmosphäre kommen gleich drei Spektrometer zum Einsatz. Zunächst das italienische Fourier-Infrarotspektrometer (PFS), das dreidimensionale Temperaturprofile ermitteln soll. Des weiteren das schwedische Ultraviolett- und Infrarot-Spektrometer (SPCAV), das unter anderem vertikale Profile der CO2- und Ozonkonzentration zu erstellen hat. Dazu gesellt sich das Spektrometer VIRTIS (Visible and Infrared Thermal Imaging Spectrometer), das ebenfalls zu atmosphärischen Untersuchungen eingesetzt werden soll. Es ist in der Lage, auch durch so genannte „atmosphärische Fenster“ in bestimmten Wellenlängen auf die Oberfläche des Planeten zu blicken. Bestehend aus zwei Komponenten, einem Infrarot-Punkt-Spektrometer mit hoher spektraler Auflösung, sowie einem flächenhaft abbildenden Spektrometer für Wellenlängen im UV und sichtbaren Licht soll die chemisch-mineralogische Zusammensetzung der Venusoberfläche global und in regionaler Auflösung kartiert werden.

„Noch spannender dürfte es sein“, so der am Experiment beteiligte DLR-Wissenschaftler Dr. Jörn Helbert, „ob es mit VIRTIS gelingt, aktive Vulkane auf der Venus zu entdecken, die sich durch ihr thermisches Signal oder die bei Vulkanausbrüchen in die Atmosphäre geblasenen Gase verraten könnten.“ Dies wären die ersten Fernerkundungs-Messdaten aus dem Orbit, mit denen global die Wechselwirkung zwischen Venusoberfläche und Venusatmosphäre dokumentiert würden. Das DLR in Berlin Adlershof ist zuständig für Gewinnung und Auswertung der Daten von der Oberfläche. Es entwickelt auch Instrumenten-Mikroelektronik. Übrigens, zwei der Atmosphärenforschung dienenden Instrumente wurden für die Venus-Mission adaptiert, sie sind Veränderungen von existierenden Instrumenten. VIRTIS fliegt bereits auf der Rosetta-Mission und das italienische Spektrometer auf Mars Express.

Drei weitere Instrumente sollen Daten zu Aspekten der Venusumgebung liefern. Das schwedische Experiment ASPERA zeichnet die Konzentration von elektrisch neutralen Atomen auf und ist in der Lage, die Ionosphäre und die Wechselwirkung des Plasmas, der vom Sonnenwind unmittelbar beeinflussten Umgebung der Venus zu charakterisieren. Mit dem Magnometer (MAG) wird das Magnetfeld in der Umgebung des Orbiters analysiert, und schliesslich wird mit dem Venus Radio Science Instrument (VeRa), für das die Bundeswehruniversität München die wissenschaftliche Leitung hat, der Funkverkehr zwischen Venus Express und den Bodenstationen auf der Erde ausgewertet. Über den Grad der Ionisation der Venusatmosphäre will man Rückschlüsse auf die elektrischen Eigenschaften der Oberfläche und Anomalien des Schwerefeldes ziehen.

Eine globale Katastrophe?

orbit-hiresDie Landschaften auf der Venus sind allesamt geologisch betrachtet sehr jung. Viele Anzeichen deuten darauf hin, dass ein global wirksamer Prozess — sehr wahrscheinlich Vulkanismus — vor etwa 600 Millionen Jahren das Antlitz des Planeten komplett neu geprägt hat. Die Ursachen hierfür werden noch kaum verstanden. Ein Grund für die globale Katastrophe mag jedoch in dem Umstand verborgen liegen, dass die Kruste der Venus im Gegensatz zur Erde mit ihren beweglichen Kontinentalplatten, die wie Flösse auf dem heissen Erdmantel treiben, aus einer den ganzen Planeten bedeckenden starren Gesteinsplatte besteht.

Wo jedoch die Erde ein weltumspannendes, viele zehn tausend Kilometer langes Netz von mittelozeanischen Vulkanrücken hat, die gewissermassen als geothermale Ventile dienen und wie „Thermostaten“ für eine Abführung der im Erdmantel erzeugten Hitze sorgen, könnte sich im Mantel der Venus über hunderte von Millionen Jahren ein enormer Hitzestau aufgebaut haben, der sich dann vor einer halben Milliarde Jahre in globalen Vulkanausbrüchen entlud. Die amerikanische Sonde Magellan, die mit ihrem Wolken durchdringenden Radar eine erste sehr genaue Kartierung der Venusoberfläche durchführte, entdeckte weit über hundert Vulkane.

Das heisseste Treibhaus im Sonnensystem

Weil eine dichte Gashülle unseren Schwesterplaneten umhüllt, besteht keine Möglichkeit, mit Teleskopen und gewöhnlichen Kameras an Bord von Raumsonden durch die Wolken auf den Boden zu blicken. Der Luftdruck auf der Venus ist hundert Mal so hoch wie auf der Erde — und auch die Zusammensetzung und Dynamik der Atmosphäre sind alles andere als lebensfreundlich. Zwar herrscht am Boden fast Windstille, doch in grossen Höhen jagen Wolken aus Schwefelsäure um den Planeten. Eine Mischung aus gasförmigen Schwefelmolekülen mit winzigen Spuren von Wasserdampf liefert den Wolken ihren Nachschub.

maat-mons-hiresWichtigster Bestandteil der Venusatmosphäre ist jedoch das Treibhausgas Kohlendioxid. In Kombination mit der intensiven Sonnenenergie entwickelte sich die Venus zu dem heissen „Backofen“, der sie heute ist. Sie ist deshalb mit Sicherheit so lebensfeindlich, dass — ganz im Gegensatz zum Mars — nicht damit gerechnet werden kann, auf der Venusoberfläche auf fossile oder gar lebende Mikroorganismen zu stossen.

Trotz vergleichbarer Grösse entwickelten sich Venus und die Erde zwangsläufig unterschiedlich. Die Ursache hierfür liegt in einem zwar vergleichsweise nur geringen, aber doch entscheidend grösseren Abstand der Erde zur Sonne. Beide Körper hatten zu Beginn des Sonnensystems etwa gleich grosse Anteile an flüchtigen Elementen wie beispielsweise Wasserstoff. Auf beiden Planeten wurde Wasser durch vulkanische Prozesse an die Oberfläche transportiert. Ein geringerer Anteil an Wasser stammt von Kometen und Asteroiden, die vor 4,5 bis 4 Milliarden Jahren in sehr viel grösserer Zahl als heute auf die Erde stürzten. Auf der Erde bildete dieses Wasser Ozeane, die seither Bestandteil des Planeten sind. Auf der wärmeren Venus ist es fraglich, ob es überhaupt jemals zur Bildung stehender Gewässer kam. Falls ja, wäre ihnen wohl keine lange Existenz beschieden gewesen — das Wasser wäre verdampft und zu grossen Teilen ans Weltall verloren gegangen.

Das meiste Kohlendioxid der irdischen Uratmosphäre wurde über die Meeres-Sedimente in Gestein umgewandelt oder durch Photosynthese über organische Prozesse in Sauerstoff und Kohlenhydrate umgewandelt. Auf der Venus hingegen wurde es nach anfänglich etwas moderateren Temperaturen schliesslich so heiss, dass nicht nur alle hypothetisch vorhandenen Ozeane sehr früh verdampften, sondern auch das möglicherweise in den im Wasser abgelagerten Sedimenten gebildete Kohlendioxid aus dem Gestein heraus in die Venusatmospäre entlassen wurde. Insgesamt enthält die Erde heute ebenso viel Kohlendioxid wie die Venus, nur ist das Molekül in Kalk- und Karbonatgesteinen der Erdkruste gebunden. Heute sind die Gebirge, beispielsweise die Alpen oder der Himalaja, neben den Ozeanen selbst die grössten „Karbonatspeicher“ unseres Planeten. Eine Erforschung der Gashülle unseres Nachbarplaneten wird also auch Rückschlüsse auf die Prozesse zulassen, die in der irdischen Uratmosphäre vonstatten gingen.

Kompetenz im Triebwerkstest

montage-hiresBeachtenswert bei der Mission ist auch die Perfektion mit dem der Start vonstatten ging. Nach der Trennung der Raumsonde von der Fregat-Oberstufe der Sojus-Rakete flog Venus Express zunächst ohne eigenständigen Antrieb durch das Weltall. Lediglich eventuelle Kursabweichungen werden mit Hilfe der acht Lageregelungstriebwerke, die eine Leistung von jeweils 10 Newton Schub haben, korrigiert. Erst kurz vor dem Erreichen der Venus wird das Haupttriebwerk der Sonde gezĂĽndet. Dieser Antrieb ist von entscheidender Bedeutung: Das Einschwenken von Venus Express in die Umlaufbahn des Planeten erfordert eine Geschwindigkeitsreduzierung von ĂĽber 4’700 km/h. Das Haupttriebwerk wird hierzu insgesamt 53 Minuten lang gezĂĽndet. Eine zweite ZĂĽndung fĂĽnf Tage später bringt den Venus Express Orbiter in seine endgĂĽltige Umlaufbahn. Das Triebwerk, das kaum grösser ist als ein Schuhkarton, entwickelt einen Schub von bis zu 400 N, umgerechnet entspricht dies etwa einer Leistung von 850 PS.

Im Auftrag von EADS Space Transportation hatte das Institut für Raumfahrtantriebe am DLR-Standort Lampoldshausen das Haupttriebwerk von Venus Express getestet: Die Funktionsfähigkeit unter Vakuumbedingungen sowie die Wiederzündbarkeit des Triebwerks wurden bei einem Abnahmetest im Juni 2003 mit einer Betriebsdauer von rund 20 Minuten erfolgreich erprobt. Das Zünden der Triebwerke von Sonden im Weltraum erfolgt bei sehr geringem Umgebungsdruck. Diese im freien Weltall vorherrschenden Druckverhältnisse werden am Prüfstand in Lampoldshausen nachgebildet.

Planeten erforschen, um die Erde besser zu verstehen

„Die Mission der Venus Express ist eine erneute Illustration der europäischen Entschlossenheit, die verschiedenen Körper des Sonnensystems zu erforschen“, sagte Dr. David Southwood, Direktor des Wissenschaftsprogramms der ESA. „Wir haben 2003 angefangen, als wir Mars Express zum Mars und Smart 1 zum Mond geschickt haben. Beide haben unsere Hoffnungen bei weitem übertroffen. Venus Express stellt eine neue Etappe auf dem Weg dar, der mit der Mission BepiColompo, die 2013 zum Merkur starten wird, einen vorläufigen Abschluss finden wird.“

bepi-colombo„Mit Venus Express wollen wir einmal mehr beweisen, dass die Erforschung der Planeten für unser eigenes Leben auf der Erde von grösster Bedeutung ist“, sagte Jean-Jacques Dordain, Generaldirektor der ESA. „Um die Entwicklung des Klimas auf der Erde und alle damit zusammenhängenden Phänomene zu verstehen, können wir uns nicht damit zufrieden geben, nur unseren Planeten zu beobachten. Wir müssen die Mechanismen entschlüsseln, die die Planetenatmosphären allgemein bestimmen. Mit Mars Express untersuchen wir die Atmosphäre des Mars, mit Huygens haben wir den Titan erforscht, und mit Venus Express werden wir unsere Sammlung ein weiteres Stück hinzufügen. Die Venus und die Erde müssen sich einmal sehr ähnlich gewesen sein, und wir müssen verstehen, warum und wie sie sich ab einem bestimmten Punkt so unterschiedlich entwickeln konnten, dass der eine Planet die Wiege des Lebens wurde, während der andere sich in eine wahre Hölle verwandelte.“

Fred Richter